Einführung
Einer der ersten Berichte zur Winter-Saisonalität von Infektionserkrankungen der Atemwege ist im „Buch der Epidemien,” einem altgriechischen, von Hippokrates um 400 v. Chr. verfassten, Schriftstück zu finden (1). Seither konnten viele respiratorische Viren als Erreger und Verursacher von Epidemien identifiziert werden. Trotz großer Anstrengungen des öffentlichen Gesundheitssektors erfassen Epidemien mit viralen Atemwegsinfektionen immer noch Jahr für Jahr große Bevölkerungsanteile und können bei anfälligen Personen zum Tod führen. Die geschätzten Kosten im Zusammenhang mit Erkältungskrankheiten belaufen sich in den USA auf 40 Mrd. USD pro Jahr (2) und mehr als 87 Mrd. USD jährlichen Kosten entstehen im Zusammenhang mit saisonalen Grippeepidemien (3). Dass winterliche Umweltbedingungen die Ausbreitung verschiedenster respiratorischer Virusinfektionen begünstigen, wird erneut bestätigt durch das neuartige SARS-Coronavirus (SARS-CoV) (Schweres Akutes Respiratorisches Syndrom) und das neuartige SARS-CoV-2, in beide in den Wintermonaten aufgetreten sind (4–7).
Eine steigende Zahl von Studien haben saisonale Faktoren identifiziert, welche Epidemien mit respiratorischen Viren direkt oder über die Beeinflussung der Abwehrbereitschaft in der Bevölkerung beeinflussen. Saisonale Änderungen von Temperatur, absoluter Luftfeuchtigkeit (AF), Sonnenlicht, Vitaminstatus, virale Faktoren und das Verhalten der Bevölkerung wurden als Faktoren identifiziert (8–16), Abbildung 1. Umweltfaktoren beeinflussen die Anfälligkeit des Wirtes durch Modulierung der Abwehrmechanismen in den Atemwegen, wirken sich aber auch auf die Infektiosität und die Übertragung der respiratorischen Viren aus. Menschliche Verhaltensmuster haben Einfluss auf die Kontaktraten zwischen infizierten und anfälligen Personen. Die saisonalen Veränderungen der Temperatur und der AF wurden als entscheidende, auslösende Faktoren identifiziert, die dem Anstieg respiratorischer Virusinfektionen im Winter vorausgehen (12, 15–18). Ein Schwerpunkt dieser Review liegt auf den Auswirkungen der Umweltfaktoren Temperatur und AF im Außenbereich auf das Klima im Innenraum, auf Virusübertragung und Abwehrreaktion der Atemwege sowie auf die saisonale Zirkulation der Viren.
Auswirkungen des saisonalen Auẞenklimas auf das Raumklima
Der Begriff „saisonale Infektion“ assoziiert eine bestimmte Infektion mit einer spezifischen Jahreszeit. Der Bezug zwischen der Infektion und dem assoziierten saisonalen Klima wird unbewusst als kausal wahrgenommen. Dies war weitgehend zutreffend, solange die Menschheit in primitiven, nur minimalen Schutz bietenden Behausungen mehrheitlich im Freien lebte und arbeitete. Die industrielle Revolution hat dies radikal verändert. Die fast ausschließlich landwirtschaftlichen Arbeitsplätze im Freien wurden in Fabriken und Büros verlagert. Der Lebensstil der Menschen entfernte sich zunehmend von der Natur und vom Außenklima. Dank der verbreiteten Einführung von Zentralheizungen und den zunehmend luftdichteren, gedämmten Gebäudehüllen, konnte eine gleichbleibende thermische Komfortzone in den Innenräumen realisiert werden. Die Exposition gegenüber den täglichen Schwankungen des Außenklimas ging mehr und mehr verloren. Die Abweichungen zwischen Außen- und Innenklima sind im Winter ganz besonders ausgeprägt. Das Aufheizen der Raumluft führt zu einer massiven Differenz der Temperatur und der relativen Luftfeuchtigkeit (RF) zwischen Innenraum und Außenklima, bei identischer absoluter Luftfeuchtigkeit (AF). Messungen der relativen Raumluftfeuchtigkeit in 40 Wohnungen in New York (19) und in 6 hochwertigen Gewerbegebäuden im Mittleren Westen (20) haben gezeigt, dass im Winter die relative Raumluftfeuchtigkeit durchschnittlich unter 24% lag. Die niedrige absolute Feuchtigkeit (AF) der kalten Außenluft führt durch das Aufheizen der Raumluft in den Komfortbereich zwischen 20 und 24°C zu einer sehr niedrigen relativen Luftfeuchtigkeit (RF) im Innenraum.
Die Anzahl der direkten Kontakte zwischen Menschen ist an Werktagen erheblich höher als am Wochenende. Örtliche Wetterbedingungen wie Regen, Sonnenschein und Kälte haben hingegen nur geringfügige Auswirkungen auf Art- und Häufigkeit der zwischenmenschlichen Kontakte (21). Dieses Ergebnis stehen im Widerspruch zur häufig vertretenen Ansicht, dass schlechtes Wetter sich auf die Saisonalität von Infektionen auswirke, da sich die Bevölkerung vermehrt in den Gebäuden aufhalte. In der industrialisierten Welt von heute interagieren, arbeiten, schlafen und pendeln die meisten Menschen in geschlossenen Räumen. Sie verbringen so 90% ihrer Lebenszeit in abgegrenzten Räumen, wo sie sich mit anderen Menschen eine begrenzte Menge Atemluft teilen (22, 23).
ABBILDUNG 1
Faktoren, die die Übertragung von respiratorischen Viren beeinflussen. Saisonale Umweltfaktoren modulieren die Immunantworten der Atemwege des Wirtes und beeinflussen die Infektiosität und die Übertragungswege von respiratorischen Viren. Menschliches Verhalten hat einen Einfluss auf die Kontaktraten zwischen infizierten und anfälligen Personen. Abkürzungen: AF, absolute Luftfeuchtigkeit; RF, relative Luftfeuchtigkeit.
Das bedeutet, dass die überwältigende Mehrheit der Mensch-zu-Mensch-Übertragungen in Innenräumen geschehen muss. Demzufolge sind das Raumklima und die Luftaustauschrate, moduliert durch das saisonale Außenklima, die Hauptfaktoren, die das saisonale Muster der Epidemiologie prägen und nicht das Aussenklima. Der Aufenthalt im Freien hat jedoch großen Einfluss auf die Immunabwehr der Atemwege, obwohl die allermeisten Menschen sich nur 10% ihrer Lebenszeit im Freien aufhalten (24). Die in Abbildung 1 aufgeführten Faktoren modulieren den raumzeitlichen Beginn und Verlauf saisonaler respiratorischer Virusinfektionen. Mit Fokus auf die gemäßigte Klimazone werden wir die entscheidende Rolle der Umweltfaktoren für die Übertragung von respiratorischen Viren und die Immunantwort des Wirtes erörtern.
Saisonalität der respiratorischen Viren in der Bevölkerung
Bis heute wurden mindestens neun verschiedene Viren als häufige Erreger von Atemwegserkrankungen identifiziert (25, 26). Gemäß epidemiologischen Studien sind in der gemäßigten Klimazone bei den meisten respiratorischen Viren saisonale Schwankungen zu beobachten (Abbildung 2).
ABBILDUNG 2
Schema zur Saisonalität respiratorischer Virusinfektionen in gemäßigten Klimazonen. Respiratorische Viren werden gemäß ihren saisonalen Präferenzen in drei Kategorien unterteilt. Das Influenzavirus (Grippe), das humane Coronavirus (HCoV, Stämme OC43, HKU1, 229E und NL63) und das humane respiratorische Synzytialvirus (RSV) kommen gehäuft im Winter vor (Winterviren). Das Adenovirus, das humane Bocavirus (HBoV), das Parainfluenzavirus (PIV), das humane Metapneumovirus (hMPV) und das Rhinovirus können ganzjährig beobachtet werden (ganzjährige Viren). Die saisonalen Muster des PIV sind typspezifisch. Epidemien mit dem PIV Typ 1 (PIV1) und PIV Type 3 (PIV3) erreichen ihre Höhepunkte jeweils im Herbst und im Sommer. Nicht-Rhionvirus-Enteroviren treten im Sommer gehäuft auf (Sommerviren).
Influenzaviren, humane Coronaviren und die humanen respiratorischen Synzytialviren (RSV) kommen gehäuft in den Wintermonaten vor (aus diesem Grund werden sie gelegentlich als Winterviren bezeichnet) (14, 27–31). Die Adenoviren, das humane Bocavirus, das humane Metapneumovirus (hMPV) und die Rhinoviren können hingegen das ganze Jahr über beobachtet werden (ganzjährige Viren) (30–32). Bei einigen Enteroviren steigt die Nachweishäufigkeit und die Fallzahlen im Sommer (Sommerviren) (33, 34). Auch wenn die Infektionsraten im Frühling und Herbst ihre Spitzenwerte erreichen, steigt der Schweregrad der durch das Rhinovirus verursachten Infektion im Winter an (35, 36). Beim Parainfluenzavirus (PIV) ist darüber hinaus ein typspezifisches Muster des saisonalen Auftretens zu verzeichnen (37) (Abbildung 2).
Replikationskonflikte unter respiratorischen Viren könnten dazu beitragen, dass sich die Spitzeninzidenzen nicht zeitlich überschneiden. Eine Konflikt zwischen respiratorischen Viren kann abgeleitet werden aus der epidemiologischen Beobachtung, dass Influenzaviren und RSV nie gleichzeitig ihren Häufigkeitsgipfel erreichen, obwohl beide ausschließlich im Winter auftreten (38). Während der Influenza-Pandemie im Jahr 2009 konnte beobachtet werden, dass die hohe Prävalenz der Rhinoviren den Beginn der Influenza-Pandemie in Europa verzögerte (39, 40). Eine neue Studie mit statistischem Ansatz konnte eine stark negative Wechselwirkung zwischen dem Influenzavirus A und dem Rhinovirus, sowohl auf Populations- als auch auf individueller Ebene aufzeigen (41). Es werden mehrere mögliche Mechanismen der Interferenz diskutiert, darunter die Blockierung des Virus-Rezeptors auf der Zell Oberfläche, Zelltod oder die Interferon-Antworten des Wirtes (41–43). Schützende, von Antikörpern ausgehende Interferenzen wurden als Erklärung für den Konflikt zwischen genetisch ähnlichen Viren wie PIV, hMPV und RSV vorgeschlagen (44).
Auswirkungen von Umweltfaktoren auf die Stabilität und Übertragung von respiratorischen Viren
Eine respiratorische Virusinfektion kann erfolgen durch (a) direkten/indirekten Kontakt, (b) Tröpfchen-Spray bei Übertragung in unmittelbarer Nähe oder (c) Aerosol-Übertragung über eine größere Distanz (Luftübertragung) (45). Luftübertragung erfolgt, wenn ein Tröpfchen-Spray aus großen und kleinen Tröpfchen durch direkten oder indirekten Kontakt auf die Schleimhäute gelangt bzw. durch Einatmung von größeren aerogenen Tröpfchen (Durchmesser >10 μm) oder kleinen Tröpfchen-Kernen (Durchmesser <5 μ) auf größere Distanz. Über die Häufigkeitsverteilung der einzelnen Übertragungswege wird diskutiert (46, 47). Die Effizienz der Übertragungswege wird durch saisonale Veränderungen des Außenklimas und des Raumklimas beeinflusst (Abbildung 2). Im nächsten Abschnitt befassen wir uns mit den Auswirkungen der Umweltfaktoren auf die Eigenschaften des Viruspartikels innerhalb der Tröpfchen-Matrix d.h. mit deren Infektiosität/Stabilität und Übertragbarkeit.
Klima Jahreszeit |
Absolute Luftfeuchtigkeit (AF) Im Freien (g/m3) |
Relative Luftfeuchtigkeit (RF) Drinnen (%) |
Stabilität der Viren |
Anteil der Tröpfchen-Kerne |
Infektiosität der Viren |
häufigster Übertragungsweg |
Tropisch |
Hoch |
60–100 |
Hoch |
Niedrig |
Hoch |
Infektionsträger, direkter und indirekter Kontakt |
Gemäßigt: Frühling, Herbst |
Mittel |
40–60 |
Niedrig |
Niedrig |
Niedrig |
alle Übertragungswege möglich |
Gemäßigt: Winter |
Niedrig |
10–40 |
Hoch |
Hoch |
Hoch |
hauptsächlich Luftübertragung |
TABELLE 1
Tröpfchen-Übertragung bei unterschiedlicher relativer Luftfeuchtigkeit
Stabilität/Infektiosität der respiratorischen Viren
Viele Studienresultate lassen darauf schließen, dass die Infektiosität von Grippeviren in der Tröpfchen-Matrix mit dem Grad der Tröpfchen-Verdampfung und der damit verbundenen Übersättigung der enthaltenen Komponenten zusammenhängt (48–51). Das Wasserdampf-Gleichgewicht in der Raumluft, als Sättigungsverhältnis oder RF ausgedrückt, wirkt sich auf alle infektiösen Tröpfchen aus, unabhängig von ihrer Quelle (Atemwege oder aerosolisiert aus einer Flüssigkeit) und davon ob sie in der Luft schweben oder auf Oberflächen sedimentiert sind. Daher wirkt sich die RF auf alle Übertragungswege aus, vor allem jedoch auf die Luftübertragung. Übertragungsstudie mit Tieren (Meerschweinchen und Frettchen) haben gezeigt, dass bei hoher RF (>60 %) und niedriger RF (<40%) die Infektiosität von Influenzaviren in Tröpfchen erhalten bleibt, während die Viren bei mittlerer RF (40% bis 60%) inaktiviert werden (47, 49, 52–54) (Tabelle 1).
Es wird angenommen, dass Temperatur und Luftfeuchtigkeit die Infektiosität von Viren modulieren, indem sie die Eigenschaften ihrer Oberflächenproteine und der Lipidmembran beeinflussen (12, 55). Viele Experimente zur Infektiosität aerosolisierter respiratorischer Viren in unterschiedlicher Temperatur und RF wurden in Aerosolbehältern mit geregelter Temperatur und relativer Feuchte durchgeführt (56–61) (Ergänzende Tabelle 1). Eine bekannte Anzahl Viren wurden aus wässerigen Nährlösungen mit Salzen und Proteinen vernebelt. Die Abnahme der Infektiosität konnte durch den Nachweis der noch infektionsfähigen Viren im Plaque-Assay (Effekt auf Zellkulturen) bestimmt werden. Die Ergebnisse zeigen, dass die Infektiosität von Winterviren bei niedriger RF (20–50 %) erhalten bleibt, während die Infektiosität von ganzjährigen oder Sommerviren bei einer höheren RF (80 %) erhalten bleibt (Ergänzende Tabelle 1). Früher Studien befassten sich bereits mit der Infektiosität von aerosolisierten Influenzaviren bei unterschiedlichen Temperaturbedingungen und/oder bei unterschiedlicher RF (57, 62). Sie haben festgestellt, dass bei Temperaturen in der thermischen Komfortzone und niedrige RF, dem typischen Raumklima in gemäßigten Klimazonen im Winter, die Infektiosität der Influenzaviren lange erhalten bleibt. Mit einem analytisch-chemischen Ansatz konnte nachgewiesen werden, dass niedrige Temperaturen die Anordnung von Lipiden auf der Virusmembran verbessert und zur Stabilität des Grippevirus beitragen (63).
Übertragung von respiratorischen Viren
Übertragungsmodelle für Influenzaviren existieren für Mäuse, Frettchen und Meerschweinchen (54, 64–68). Die älteren Studien, in denen Übertragungen zwischen Mäusen untersucht wurden zeigten, dass trockene Luft ohne Luftaustausch für Influenza-Übertragungen im Winter die besten Voraussetzungen schafften (69). Eine Absenkung der RF von 70% auf 47% führte ebenso zu einem Anstieg der Influenza-Übertragungen zwischen Mäusen im gleichen Käfig, wie eine Verminderung des Luftaustausches. Für die experimentelle Übertragung von Influenzaviren mussten maus-adaptierte Viren verwendet (64, 65, 70), da humane Influenzaviren zwischen Mäusen nicht übertragbar sind (67). Im Gegensatz zu Mäusen ist bei Meerschweinchen die Übertragung von menschen-pathogenen Influenzaviren möglich. Außerdem haben Meerschweinchen, analog zum Menschen, ein funktionelles, antivirales Mx-GTPase-Gen und Sialinsäure-Rezeptoren des humanen Typs (α2–6) im Epithel der oberen Atemwege (68, 71). Es ist deshalb sinnvoll, die Auswirkungen von Temperatur und Luftfeuchtigkeit auf die Übertragung des Influenzavirus mit Meerschweinchen zu untersucht (52, 53, 72). Vier Paare infizierter und nicht infizierter Meerschweinchen wurden in klimatisierten Gitter-Käfigen gehalten. Die Luftströmung erfolgte von den infizierten zu den nicht infizierten Meerschweinchen. Die erfolgreiche Übertragung wurde anhand des Virusnachweises in der Nasenspülflüssigkeit der exponierten, naiven Tiere nachgewiesen. Bei 20°C konnte bei einer hohen RF (80%) keine Luftübertragungen des Influenzavirus beobachtet werden. Dagegen war die Übertragung bei niedrigen RF (∼20–35%) und 20°C sehr effizient. Generell war die Virusübertragung bei kalten 5°C effizienter als bei 20°C. Bemerkenswert ist, dass eine Umgebungstemperatur von 5°C auch bei einer RF vom 80% in 50% der Fälle eine Übertragung zuließ. Eine Erklärung für dieses Ergebnis könnten die bei 5°C verringerte mukoziliäre Clearance (MCC) und/oder die höhere Infektiosität der in den Schleimhäuten der oberen Atemwege verbleibenden Viren sein (52). Eine weitere Erklärung wäre, dass die AF bei 5°C (∼5,5 g/m3) niedriger ist als bei 20°C (∼14 g/m3), bei identischer RF (80%).
Im Gegensatz zu gemäßigten Klimazonen weisen respiratorische Infektionen in tropischen Regionen keine eindeutig saisonale Häufigkeitsverteilung auf. Eine Studie konnte zeigen, dass bei 30°C unabhängig von der Höhe der Luftfeuchtigkeit, keine Aerosolübertragung mehr möglich ist. Die Raten der Kontaktübertragung hingegen waren bei 30°C und 20°C vergleichbar (53). Basierend auf dieser Erkenntnis, stellten Lowen & Palese die Hypothese auf (47), dass die Aerosol-Übertragung im Winter in gemäßigten Klimazonen der dominierende Übertragungsweg ist, weil das trockene und warme Raumklima die Stabilität von Influenzaviren in ausgetrockneten Tröpfchen-Kernen begünstigt, sie über lange Zeit in der Luft verbleiben und die Bedingungen damit ideal sind für die Aerosolübertragung. Kontakt-Übertragungen sind dagegen in den Tropen der Hauptübertragungsweg, weil Tröpfchen im feuchtwarmen Klima weniger Wasser verdampfen und die schwereren Tröpfchen rascher auf den Oberflächen sedimentieren und von dort als Schmierinfektionen weiter übertragen werden. Diese Hypothese wird in Tabelle 1 ausführlich dargestellt. Sie hat Auswirkungen auf die sinnvollen Maßnahmen des öffentlichen Gesundheitssektors gegen respiratorische Virusinfektionen in unterschiedlichen Klimazonen.
Auch mit Frettchen wurde der Einfluss der Umweltbedingungen auf die Übertragung des Influenzavirus untersucht (54). In Übereinstimmung mit früheren Mäuse- und Meerschweinchen-Studien wurde festgestellt, dass die Effizienz der Aerosol-Übertragung bei Temperaturen unter 23°C und einer RF von weniger als 30% am höchsten und bei 23°C/50% RF und 5°C/70% am niedrigsten war. Dass niedrige RF die Aerosol-Übertragung von Influenzaviren erleichtert, wurde damit übereinstimmend in allen Tiermodellen festgestellt. Dass die Aerosol-Übertragung von Grippeviren bei mittlerer RF am wenigsten effizient ist, war eine Erkenntnis aus allen Tierversuchen. Lowen et al. (52) stellten fest, dass die Aerosol-Übertragung zwischen Meerschweinchen bei einer mittleren RF von 50% (20°C) nicht erfolgreich war. Sowohl bei niedriger RF (20–35%) als auch bei hoher RF (65%) war das Grippevirus jedoch einfach über die Luft übertragbar. Auch die Übertragungsraten zwischen Frettchen waren bei 30% und 70% RF höher als bei einer mittleren Luftfeuchtigkeit von 50% (alle Versuche bei 20°C) (54). Diese Ergebnisse steht im Einklang mit Resultaten aus früheren Mäuse-Versuchen (70). Sie haben die Erkrankungsinzidenz von Mäusen untersucht, die in unterschiedlicher relativer Luftfeuchtigkeit bei 22–24°C einem Influenza-Aerosol ausgesetzt wurden. Bei mittlerer RF (40–60%) überlebten 77,5% der exponierten Mäuse, obwohl dasselbe Aerosol bei 23% RF alle exponierten Mäuse tötete. Alle Untersuchungen belegen, dass 40% bis 60% die ideale Luftfeuchtigkeit ist, um Aerosol-Übertragung respiratorischer Viren bei Raumtemperatur zu reduzieren.
ABBILDUNG 3
Wirkung von Umweltfaktoren auf die Abwehrmechanismen der Atemwege des Wirtes. Die saisonalen Änderungen von Temperatur und Wassergehalt der eingeatmeten Luft beeinflussen die Abwehrkräfte der extrathorakalen und trachealen Schleimhaut sowohl bereits infizierter als auch noch gesunder Personen. Der immunologische Teil der Auswirkung erstreckt sich aus unbekannten Gründen auch auf die Lungenperipherie und das Lungengewebe, obwohl das Milieu distal der Trachea vom Raumklima unbeeinflusst bleibt. Abkürzung: IFN, Interferon.
Effekte von Umweltfaktoren auf die Abwehrmechanismen der Atemwege gegen Viren
Die Schleimhaut der Atemwege ist kontinuierlich der eingeatmeten Umgebungsluft ausgesetzt, die flüchtige und nichtflüchtige Schadstoffe und potenziell gefährliche Pathogene enthält. Mehrstufige Abwehrmechanismen in den Atemwegen des Wirtes sollen eine Infektion durch eindringende respiratorische Viren verhindern (73). Es wurde nachgewiesen, dass saisonale Schwankungen der Temperatur und Luftfeuchtigkeit in der Atemluft auf mehreren Ebenen direkte Auswirkungen auf die Abwehrbereitschaft der Schleimhaut der Atemwege haben (Abbildung 3).
Intrinsische Barrieren
Die intrinsische Barriere bildet die erste Verteidigungslinie der Atemwege gegen respiratorische Viren. Da die Atemwegsepithelien in verschiedenen Abschnitten der Atemwege unterschiedlich aufgebaut sind, kann von einer „Durchmesser-abhängigen“ Barrieren-Funktion der Atemwege gesprochen werden (73). Die Epithelzellen bilden eine wirksame mechanische Barriere und sind zusammen mit dem Schleimbelag für die MCC verantwortlich. Der von Becherzellen und submukösen Drüsen der luftleitenden Atemwegen gebildete Schleim ist auch eine chemische Barriere (74).
Schleimproduktion
Ein eingeatmetes Virus muss zu den Epithelzellen vordringen können, um in die Wirtszelle einzudringen. Die Schleimschicht fängt die Viren effizient ab, bevor sie in die Wirtszellen eindringen können (Abbildung 4). Von den Drüsen in der Lamina propria gebildeter Schleim wirkt als mechanische und durch seine antimikrobiellen Eigenschaften auch als chemische Barriere (74, 75). Der Schleimbelag besteht aus 93–97% w/w Wasser, 3–7% w/w Feststoffen, 1–3% w/w Glykoproteinen, 1% w/w Proteinen, 0,5–1% w/w Lipiden und 0,70–1,4% w/w Mineralstoffen (76). Die wichtigsten Glykoproteine im Schleim der Atemwege sind die sekretorischen Muzin-Proteine MUC5AC und MUC5B (77). Kaltes Klima wird oft mit einer Verschlechterung der chronisch-obstruktiven Lungenerkrankung (COPD) in Verbindung gebracht, die sich als Atemwegsobstruktion, Entzündung und Schleim-Hypersekretion äußert (78, 79).
ABBILDUNG 4
Wirkung trockener Luft auf die mukoziliäre Clearance. (a) Eine angemessene Schleimhydrierung ist für den effizienten Schleimtransport erforderlich. (b) Durch trockene Atemluft verursachte Dehydrierung führt zu erhöhter Viskoelastizität der Schleimschicht und immobilisiert die Zilien, die durch die verringerte Höhe der dehydrierten periziliären Schicht nach unten gedrückt werden.
In normalen humanen bronchialen epithelialen Zellen (NBHE), die von COPD-Patienten isoliert wurden, wird das Expressionsniveau des TRPM8 (Transient Rezeptor Potential Melastatin 8, ein Kälterezeptor) hochreguliert (82) durch Temperaturen unter 27°C oder Kältemittel, wie z.B. Menthol (80, 81). Darüber hinaus wird die MUC5AC-Sekretion auf eine TRPM8-abhängige Weise durch Kälte- (18°C) oder Menthol-Behandlung erhöht (82, 83). Eine andere Studie untersuchte die Auswirkungen von Temperatur, Luftfeuchtigkeit und Flow der Atemluft auf die Schleimsekretion von humanen, nasalen Epithelzell-Kulturen in einer Klimakammer (84). Die Schleimbildung erhöhte sich unter 25°C, 40% RF, im Vergleich zu 37°C, 80% RF. Ein erhöhter Flow steigert die Mucinbildung unter 25°C, 40% RF, jedoch nicht bei 37°C, 80% RF. Diese Ergebnisse zeigen, dass die Beeinträchtigung der MCC unter niedrigen Temperaturen und Luftfeuchtigkeit auch durch eine Hypersekretion von Schleim bedingt ist.
Intaktheit der Atemwegsepithelien
Die Atemwege sind ausgekleidet von einer Typ I Schleimhaut, die von einer einzelligen, epithelialen Schicht bedeckt ist (85). Dieses Epithel ist die zweite Verteidigungslinie nach der Schleimschicht und bildet eine physische Barriere gegen Schädigungen aller Art. Eine rasche Reparatur des Epithels ist für die Erhaltung der Unversehrtheit der Atemwege entscheidend. Eine Meerschweinchen-Studie konnte zeigen, dass eine experimentell verletzte epitheliale Oberfläche der Atemwege innerhalb von 8 bis 15 Stunden repariert werden kann (86). Die epithelialen Zellen am Rande des beschädigten Bereiches migrieren und verflachen sich, decken so den beschädigten Bereich schnell ab, gefolgt von einer vollständigen Re-Epithelisierung (86). Das Einatmen trockener Luft führt zu einem Verlust Zilien tragender Epithelzellen in der Luftröhre von Meerscheinchen, der Ablösung der Epithelien von der Basalmembran und einer Entzündungsreaktion (87). Zudem konnte gezeigt werden, dass die Reparatur epithelialer Zellen in der Lunge nach einer Influenzavirus-Infektion beeinträchtigt war, wenn Mäuse vorgängig trockener Luft ausgesetzt waren (88). Geschädigte Atemwegsepithelien durch Einatmung trockener Raumluft könnten bei Winterepidemien von respiratorischen Viren eine Rolle spielen.
Mukoziliäre Clearance
Die MCC ist ein wichtiger Mechanismus für die Beseitigung eingeatmeter Pathogene und Reizstoffe von der Oberfläche respiratorischer Epithelien (75). Die doppelte Schleimschicht mit unterschiedlichen Viskositäten ist Voraussetzung für eine effiziente MCC (Abbildung 4).
Die gegen den Luftstrom gerichtete, klebrig-visköse Schleimschicht dient dem Abfangen von Mikropartikel und Mikroorganismen. Die wässrige, periziliäre Schicht, in der sich die Zilien bewegen, überträgt die Bewegung der Zilien auf die oberflächliche Schleimschicht. Der mit Mikroorganismen und Partikeln beladene Schleim wird bei Mäusen zur Nasenöffnung hin und beim Menschen Richtung Kehlkopf bewegt. Hier kann der Schleim und die anhaftenden Partikel und Mikroben geschluckt oder ausgehustet werden (75). Die Einatmung kalter Luft, die immer auch trocken ist, da kalte Luft nur eine begrenzte Wasserspeicherkapazität besitzt, führt zu einer Beeinträchtigung der MCC. Die Wirkung der Umgebungstemperatur auf die Schlagfrequenz der Zilien von nasalen und trachealen Zilien tragenden, humanen Zellen wurde untersucht. Die Schlagfrequenz verlangsamt sich, wenn die Temperatur unter 20°C sinkt und wird bei 5°C ganz eingestellt (89). In einem anderen Experiment wurde die MCC bei verschiedenen physiologischen Bedingungen untersucht. Die Einatmung kalter Luft führte, bei lebenden Hühnern beobachtet, zu einer Verlangsamung der MCC Transportgeschwindigkeit (83). Eine ganz aktuelle Studie hat gezeigte, dass die Präinkubation von Mäusen in einer Umgebung mit niedriger RF (10%) die MCC im Vergleich zu 50% RF deutlich verschlechtert. Dies hatte zudem eine verminderte virale Clearance nach einer Influenzavirus-Infektion zur Folge (88). Da die Effizienz der MCC von der Aufrechterhaltung von zwei Schichten unterschiedlicher Viskosität und damit von einem sensiblen osmotischen Gleichgewicht abhängig ist, spielt die ausreichende Schleimhydrierung für den effizienten Schleimtransport eine entscheidende Rolle. Die Untersuchung der Auswirkungen unterschiedlich temperierter und befeuchteter Atemluft auf den Schleimbelag der Atemwege hat gezeigt, dass 100% RF bei Kerntemperatur die optimalen Bedingungen sind für einen effizienten Schleimtransport und eine optimale Immunabwehr (90). Das Atmen von Luft mit tiefer Luftfeuchtigkeit verursacht eine Schleimhautaustrocknung und verringert die MCC. Der Wasserverlust aus der oberflächlichen Schleimschicht überträgt sich auf die periziliäre Schicht, verringert deren Höhe und immobilisiert die Zilien welche niedergedrückt werden (75) (Abbildung 4). Die Auswirkungen unterschiedlicher Feuchtigkeit auf die nasale, tracheale und bronchiale MCC sind bei Tieren gut erforscht, beim Menschen in vivo jedoch nur sehr eingeschränkt möglich (88, 90, 91).
Beim Menschen wurde die nasale MCC mehrfach untersucht (92–94). Die Studien haben gezeigt, dass die nasale MCC bei jungen, gesunden Menschen (92) nicht durch trockene Atemluft beeinträchtigt wurde. Bei 174 Probanden unterschiedlichen Alters und Geschlechts wurde jedoch gezeigt, dass eine schrittweise Verringerung der RF der Atemluft von 70% auf 20% die MCC ebenfalls schrittweise verringerte (93). Eine andere Studie ergab, dass die mukoziliäre Fließ-Geschwindigkeit auch durch den Nasenzyklus beeinflusst wird (94). Die Beatmung von narkotisierten Patienten mit nicht erwärmten (<37°C) und nicht mit Wasser gesättigten Narkosegasen führt zu einer verminderten ziliären Aktivität, zu Zellschäden und letztendlich zum Absterben von bronchialen Epithelien (95, 96).
Induzierbare angeborene antivirale Immunabwehr
Die angeborene Immunantwort, als Reaktion auf eine Virusinfektion, ist wesentlich für die Schutzfunktion der respiratorischen Schleimhaut. Mehrere Klassen angeborener Immun-Sensoren erkennen Viren an ihren molekularen Mustern und lösen nachgelagerte, antivirale Signale aus, einschließlich der Bildung von Typ-I und Typ-III-Interferonen (97). Diese IFN sind die wichtigsten Effektor-Zytokine, die benachbarten Zellen Signale geben, welche die Bildung von Hunderten von IFN-stimulierten Genen (ISG) auslösen. Diese ISG greifen in unterschiedliche Phasen des Virus-Replikationszyklus ein um die Virenvermehrung zu stoppen (98). Es war bisher nicht bekannt, ob Umweltfaktoren die angeborene antivirale Immunität des Wirtes beeinflussen. Neue Studien haben nun gezeigt, dass saisonal Umweltfaktoren wie Temperatur und Luftfeuchtigkeit sich auf die angeborene antivirale Immunität des Wirtes gegen respiratorische Virusinfektionen auswirken können (88, 99–101).
Humane Rhinoviren, Hauptverursacher von Erkältungen, führen hauptsächlich im Winter zu Erkrankungen. Es ist bekannt, dass Rhinoviren sich in Gewebekulturen viel besser bei 33°C vermehren, was die kühlere Temperatur in der Nasenhöhle nachahmt, als in den unteren Atemwegen, wo Kerntemperatur vorliegt (37°C). Weshalb können Rhinoviren sich bei niedrigerer Temperatur besser replizieren? Eine Studie hat sich mit den Auswirkungen der Umgebungstemperatur auf die Wirtszellen befasst und konnte zeigen, dass die effizientere Replikation der Rhinoviren bei 33°C ermöglicht wird durch die ineffizientere antivirale Immunantwort des Wirtes bei dieser Temperatur (99). Bei 33°C lösten Rhinoviren nur eine geringe Produktion von Typ-I-IFN durch die Epithelzellen aus. Der Knockout des wichtigsten viralen Signalmoleküls MAVS, das zur Bildung von Typ I-IFN erforderlich ist, ermöglichte eine ungehinderte Replikation der Rhinoviren bei 37°C.
Diese Resultate weisen darauf hin, dass eine robuste antivirale Immunantwort des Wirtes bei Kernkörpertemperatur die Ausbreitung des Rhinovirus in die unteren Atemwege durch eine starke IFN-Antwort blockieren kann. Zudem weisen die Studien darauf hin, dass die starke Rhinovirus-Replikation in der Nasenschleimhaut begünstigt wird durch den Einfluss von kalter Winterluft. Die Erkenntnisse zur Interferon-Bildung wurden in einer Nachfolgestudie ergänzt durch die Beobachtung, dass sowohl die Apoptose als auch eine antivirale Ribonuklease-RNase L die Abwehr gegen das Rhinovirus bei wärmeren Temperaturen verstärkt (100). Alles weist darauf hin, dass es die abgeschwächte Immunantworten des Wirtes ist, die infolge tieferer winterlicher Temperaturen in der Nasenhöhle, die effiziente Rhinovirus-Replikation ermöglicht. Umgekehrt kann das Warmhalten der Nase die angeborene antivirale Abwehr gegen das Erkältungsvirus stärken und Erkältungen verhindern.
Wohl der bekanntesten Umweltfaktoren, der einen Anstieg der Grippeerkrankungen auslöst, ist der Abfall der absoluten Luftfeuchtigkeit (AF). Ein solcher Abfall geht in den USA regelmäßig dem saisonalen Anstieg der grippebedingten Todesfällen voraus (18). Wie kann sich niedrige AF auf saisonale Grippeepidemien auswirken? Wie erwähnt, führt eine niedrige AF zu einer niedrigen RF in den geheizten Innenräumen. Der Auslöser AF führt im Innenraum zu tiefer RF, dem ursächlichen Faktor für den saisonalen Anstieg der Grippe im Winter. Eine aktuelle Studie, bei der Mäuse niedriger RF von 10–20% ausgesetzt wurden, konnte die gestellte Frage beantworten. Der verwendete Mäusestamm mit einem funktionsfähigen Myxovirus-Resistenz-Protein (Mx1-Gen), das die Replikation des Influenzavirus einschränkt, fehlt den meisten Inzucht-Mausstämmen (102). Die Studie zeigte, dass Mx1-Mäuse, die bei einer RF von 10–20% gehalten wurden, schneller dem Influenzavirus erlagen als diejenigen, die bei 50% RF gehalten wurden. Die Studie fand mindestens drei eigenständige Mechanismen, welche die Grippe-Anfälligkeit der Mäuse bei niedriger Luftfeuchtigkeit erklären können. Erstens war die MCC bei niedriger Luftfeuchtigkeit stark beeinträchtigt (88). Zweitens wurde durch die niedrige Luftfeuchtigkeit der Mechanismus zur Reparatur der Atemwegsepithelien beeinträchtigt. Drittens zeigte eine Analyse der Einzelzell-RNA-Sequenzierung im Lungengewebe, dass der Einfluss der trockenen Luft die globale ISG-Expressionen nach einer intranasalen Influenzavirus-Infektion vermindert (88). Bemerkenswert war auch die Feststellung, dass die ISG-Expression nicht nur in den epithelialen Zellen der Atemwege beeinträchtigt war, sondern auch in den Zelltypen im übrigen Lungengewebe. Wie trockene Luft sich im Detail auf die IFN-Antwort der Atemwege auswirkt, ist derzeit noch nicht bekannt.
Andere angeborene Abwehrmechanismen
Direkte Pathogen-Clearance durch Phagozytose und Bildung reaktiver Sauerstoffspezies (reactive oxygen species, ROS) spielen eine bedeutende Rolle als nicht spezifische Immunreaktionen. Saisonale Schwankungen der Tageslichtdauer modulieren die Aktivität der Säugetiere durch Melatonin Impulse (9). Bei sibirischen Hamstern, die einer kurzen Tageslichtdauer (8 h) ausgesetzt waren, konnten im Vergleich zu denjenigen, die der langen Tageslichtdauer (16 h) ausgesetzt waren, verringerte Phagozyten Aktivitäten und ROS-Bildung von Granulozyten und Monozyten beobachtet werden (103). Im Gegensatz dazu erhöhte sich bei der kurzen Tageslichtdauer die Zytotoxizität der natürlichen Killerzellen. Auch die Vitamin D-Biosynthese wird durch Sonnenlicht beeinflusst. Im Winter tritt häufiger ein Vitamin D-Mangel auf, der wahrscheinlich auf das unzureichende Sonnenlicht zurückzuführen ist (10). In in-vitro-Kulturen von Makrophagen aus dem Knochenmark von Mäusen mit Vitamin D-Mangel, war die Makrophagen-Reifung, die Bildung von Oberflächen-Antigenen und von lysosomalen Enzymen sowie die H2O2-Bildung vermindert (104). Zusammengefasst weisen die Resultate darauf hin, dass die kurze Tageslichtdauer im Winter ein Einflussfaktor ist, der die angeborenen Immunmechanismen schwächt.
Virusspezifische adaptive Immunität
Adaptive Immunität bietet einen sehr spezifischen und langfristigen Schutz gegen infektiöse Erreger. Die Initialisierung der adaptiven Immunität beginnt, wenn antigen-präsentierende Zellen die naiven virusspezifischen T-Zellen stimulieren. Dies führt zu deren Aktivierung und Differenzierung in Effektor-T-Zellen, welche die antivirale Immunantworten an den Ort der Infektion heranführen (105). Follikuläre T-Helfer-Zellen sind entscheidend für die Unterstützung der B-Zellen-Aktivierung und -Differenzierung zur Bereitstellung antiviraler Antikörper-Reaktionen (106).
Eine verstärkte Antwort der Effektor-T-Zellen im Zusammenhang mit Antitumor-Immunität (107, 108) sowie bei Transplantat-versus-Wirt-Erkrankung (GVHD) (109) konnte bei Mäusen, die bei erhöhten Temperaturen gehalten wurden, beobachtet werden. Das Halten von Mäusen bei 30°C, einer thermoneutralen Temperatur für Mäuse, konnte das Tumorwachstum im Vergleich zur üblichen Käfig-Temperatur von 22°C durch eine erhöhte Anzahl von antigenspezifischen CD8+ T-Zellen unterdrücken (107). Auch die Ansprechrate auf eine Pankreas-Krebsbehandlung bei Mäusen war höher bei 30°C Umgebungstemperatur als bei 22°C (108). Die Transplantation von Knochenmarkzellen mit unvereinbaren Histokompatibilitätskomplexen löst eine Abstoßungsreaktion aus, wenn die Mäuse bei 30°C gehalten werden, während bei 22°C keine Immunreaktion erfolgt (109). Die Studien zeigen, dass die Umgebungstemperatur des Wirtes sich auf alle adaptiven Immunantworten auswirkt. Impfstoffe sollten deshalb wohl bei optimaler Temperatur verabreicht werden, um maximale Immunität erzeugen zu können.
Im Kontext mit respiratorischen Virusinfektion deutete eine aktuelle Studie darauf hin, dass eine hohe Umgebungstemperatur, die eine Hitzewelle im Sommer nachahmt, die virusspezifische adaptive Immunität auf eine Influenzavirus-Infektion bei Mäusen schwächt (101). Die Studie zeigte, dass bei Mäusen, die Hitze ausgesetzt wurden (36°C), die virusspezifischen Immunantworten der CD8+ T-Zellen und die Antikörperbildung nach einer nasal induzierten Influenzavirus-Infektion abgeschwächt waren. Die abgeschwächten antiviralen Immunantworten konnten teilweise durch Gabe von Glukose oder kurzkettigen Fettsäuren verbessert werden. Das weist darauf hin, dass Ernährung und das Mikrobiom bei einer durch Hitze hervorgerufenen Immunschwäche eine Rolle spielen. Gemäß den Daten des Centers for Disease Control and Prevention (CDC) traten alle sechs Influenza-Pandemien, die auf der Nordhalbkugel von 1957 bis 2009 verzeichnet wurden, von Sommer bis Frühling auf (110). Die Bedeutung von abnormen Temperaturschwankungen für Grippe-Pandemien wächst mit zunehmenden Auswirkungen der globalen Erwärmung und des Klimawandels weiter.
Auswirkungen von Umweltfaktoren auf die Toleranz gegenüber Infektionen mit respiratorischen Viren
Mit Toleranz wird ein Reaktionsverhalten des Organismus auf Infektionen beschrieben, das abzielt auf die Begrenzung der Gewebeschädigung, ausgelöst durch die Immunantwort des Wirtes, ohne direkt den Erreger zu attackieren (111). Zum Beispiel werden tödliche Krankheitsfolgen einer Grippe-Infektion bei kongenen Mx1-Mäusen mit einem TLR7- und MAVS-Mangel bei fehlender Caspase-1/11 toleriert, ohne dass die Viruslast beeinflusst wird (102). Die Studie zeigte, dass der tödliche Verlauf einer Grippe-Infektion bei fehlender angeborener Immunität durch die von der Inflammasom-Aktivierung abhängige Neutrophilen-Aktivierung herbeigeführt wird.
Bei kongenen Mx1-Mäusen, die niedriger Luftfeuchtigkeit ausgesetzt waren, wurde eine erhöhte Sterblichkeit, Gewichtsabnahme und pulmonale Viruslast nach einer Grippe-Infektion nachgewiesen (88). Darüber hinaus wurden im Lungengewebe dieser Mäuse schwere Gewebeschädigungen nach der Grippe-Infektion beobachtet. Ein Caspase-1/11-Mangel schützt infizierte Mäuse, die vorher trockener Luft ausgesetzt waren, vor Erkrankung und Tod. Die Untersuchung zeigte weiter, dass Mäuse die über keine Inflammasom-Caspasen verfügten, Infektionen tolerieren konnten, auch wenn sie bei niedriger Luftfeuchtigkeit gehalten wurden. Dieses Erkenntnis kann auch auf andere Situationen übertragen werden, in denen die angeborene antivirale Immunität geschwächt ist, wie zum Beispiel bei älteren Personen (112). Die Beeinflussung der Inflammasom-Caspasen kann ein therapeutisches Fenster aufmachen, um Folgeschäden einer Infektion mit Influenza durch bessere Krankheitstoleranz entgegenzuwirken.
Schlussbemerkungen und zukünftige Entwicklungen
Da die nasale und tracheale Schleimhaut beim Atmen der Umgebungsluft ausgesetzt ist, wird sie von deren Temperatur und Feuchtegehalt beeinflusst (74). Das Einatmen sehr trockener Luft führt zu epithelialen Schäden, Beeinträchtigung der MCC und erhöhter Schleimbildung (84, 87, 88). Eine Beeinträchtigung der ISG-Expression und der Gewebereparatur sowie eine erhöhte Viruslast und Sterblichkeit nach einer Influenzavirus-Infektion konnten bei Mäusen nachgewiesen werden, die 7 Tage lang einer niedrigen RF von 10–20% ausgesetzt waren (88). Der schwere Krankheitsverlauf nach Aufenthalt in trockener Luft wird durch Aktivierung von Inflammasom-Caspasen herbeigeführt. Zudem führt die Einatmung trockener Luft zu einer Beeinträchtigung der MCC und einer erhöhten Schleimbildung (82, 83, 89). Niedrige Temperaturen schwächen die von Typ I IFN induzierten und die IFN-unabhängige antivirale Abwehr nach einer Rhinovirus-Infektion (99, 100). Im Gegensatz dazu werden bei Mäusen, die Hitzewellen-Temperaturen ausgesetzt waren, die virusspezifischen adaptiven Immunantworten geschwächt (101). Die Tierstudien zeigen eindrückliche Auswirkungen der Umweltbedingungen auf jeden Aspekt der Immunantwort des Wirtes auf respiratorische Infektionen.
In zahlreichen Interventionsstudien mit Schul- und Kindergartenkindern, Officepersonal und Soldaten konnte gezeigt werden, dass die Erhöhung der Luftfeuchtigkeit von niedrigen auf mittlere Werte die Zahl der respiratorischen Infektionen und Arbeitsabsenzen reduzierte (113, 123-127). Die Mensch-zu-Mensch-Übertragung des SARS-CoV-2 in Wuhan, China, begann im Dezember 2019 (4, 5). SARS-CoV-2 ist ein naher Verwandter des SARS-CoV (114), dessen Ausbreitung im Winter 2002–2003 begann (6, 7). Die Expression des Rezeptors für SARS-CoV-2 und SARS-CoV, das Angiotensin-konvertierende Enzym 2, ACE2 (114, 115), scheint in einer kleinen Population der Typ-II-Alveolar Zellen konzentriert zu sein. Wir spekulieren, dass niedrige Luftfeuchtigkeit und Temperatur die Infektiosität von SARS-CoV-2 in Tröpfchen erhöht. Die gleichzeitige Beeinträchtigung der MCC und der angeborenen Immunabwehr erlaubt eine starke Virenvermehrung in den Atemwegen und erleichtert so die Viren-Übertragung. Da die Atemwege, in denen sich Typ-I- und Typ-II-Alveolar Zellen befinden, nicht durch respiratorische Tröpfchen mit einem Durchmesser von mehr als 5 Mikrometern erreichbar sind (45, 46), wäre es naheliegend, dass zumindest die schweren Fälle von COVID-19 mit viraler Lungenentzündung durch Luftübertragungen mit Aerosol-Tröpfchen kleiner 5 µm erfolgten. Eine aktuelle Studie, die die Variabilität der Reproduktionszahlen von COVID-19 in China untersuchte, ergab, dass die Ausbreitung des Virus nicht nur in trockenen und kalten Regionen erfolgt (117). Der genaue Zusammenhang zwischen Temperatur, Luftfeuchtigkeit und COVID-19 wird sich wohl erst deutlicher zeigen, wenn der Sommer die Nordhalbkugel erreicht haben wird.
Saisonale Änderungen der Umweltfaktoren wirken sich nicht nur auf lokale Abwehrmechanismus aus, sondern können auch systemische, physiologische Veränderungen bewirken. Die Haltung von Mäusen bei thermoneutraler Temperatur verstärkt die Antitumor-Immunität und das Auftreten von Gewebe-Abstoßungsreaktionen (107–109). Kurze Tageslichtdauer und der damit verbundene Vitamin D-Mangel schwächen die spezifische Immunantwort (103, 104). Die Kombination von niedriger Luftfeuchtigkeit und Temperatur mit wenig Sonnenlicht führt zu einer Beeinträchtigung der lokalen und systemischen antiviralen Abwehrmechanismen, was generell die erhöhte Anfälligkeit des Wirtes gegenüber respiratorischen Viren im Winter erklärt (Abbildung 5).
Ein Teil der vorgestellten Studien untersuchte die Wirkung von Umweltfaktoren auf die Infektiosität und die Übertragungseffizienz von respiratorischen Viren. Andere untersuchten die Auswirkungen von Umweltfaktoren auf die Abwehr des Wirtes und die zugrundeliegenden molekularen Mechanismen. Zusammengenommen erklären sie den saisonalen Anstieg von Erkältungs- und Grippe-Erkrankungen im Winter. Einige respiratorische Virusinfektionen erreichen allerdings ihre Häufigkeitsgipfel im Frühling oder Sommer. Eine Erklärung hierfür ist ein möglicher Replikationskonflikt zwischen respiratorischen Viren. Experimentelle Co-Infektionen von respiratorischen Winterviren und Frühlingsviren im Tiermodell könnten neue Erkenntnisse liefern zu den noch unbekannten Mechanismen, welche Frühlings- und Sommer-Epidemien steuern. Eine weitere, bislang nicht erklärbare Beobachtung wurde 1963 von Schulmann publiziert (65). Selbst bei strengster Kontrolle der Umgebungsbedingungen in den Mäuse-Käfigen (22,2°C, 50% RF, kontrollierter Hell-Dunkel-Zyklus) war die Übertragungsrate des Grippevirus höher, wenn die Experimente im Winter (November bis April, 58,2% Übertragungsrate) durchgeführt wurden als im Sommer (Mai bis Oktober, 34,1% Übertragungsrate) (65). Es ist deshalb wahrscheinlich, dass es zusätzlich zu Temperatur, Luftfeuchtigkeit und Licht weitere, von den Jahreszeiten abhängige Umweltfaktoren gibt, die zu höheren Zahlen von Gripperkrankungen in den Wintermonaten beitragen.
ABBILDUNG 5
Mögliche Mechanismen einer erhöhten Anfälligkeit des Wirtes gegenüber respiratorischen Virusinfektionen im Winter. Die Einatmung kalter Luft wirkt sich unmittelbar auf die Schleimhäute der oberen Atemwege aus, beeinträchtigt die mukoziliäre Clearance und erhöht die Schleimbildung. Darüber hinaus verursacht die trockene Luft per se epitheliale Schäden. Eine kurze Tageslichtdauer und der daraus resultierende Vitamin D-Mangel schwächen die direkte Pathogen-Clearance. Kalte und trockene Luft schwächt die lokalen, angeborenen antiviralen Immunantworten. Abkürzungen: DC, dendritische Zelle; IFN, Interferon; ROS, reaktive Sauerstoffspezies.
Wie können wir all diese Erkenntnisse zur Vorbeugung von respiratorischen Infektionen und Erkrankungen in den Wintermonaten anwenden? Zusätzlich zu Impfungen und antiviralen Medikamenten finden nicht pharmazeutische Interventionen immer mehr Aufmerksamkeit. Der Lebensstil (gesunde Ernährung, mehr als 7 Stunden Schlaf pro Nacht) und konsequente Hygiene (Händewaschen, Tragen von Gesichtsmasken) erhöhen nachweislich die antimikrobielle Abwehr bzw. verhindern Übertragungen (118–121). Zudem können wir das Raumklima so regeln, dass es zur Verhinderung von respiratorischen Infektionen beiträgt. Interventionen mit Luftbefeuchtern wurden seit den 1960er Jahren in vielen Studien mit guten Resultaten eingesetzt (122–127). Eine aktuelle Studie in Minnesota ergab, dass eine Luftbefeuchtung in Kindergärten in der Zeit von Januar bis März auf ∼45% RF zu einer erheblichen Verringerung der Gesamtanzahl der Influenzaviren und der viralen Gen-Kopien in der Luft und auf Gegenständen führte, im Vergleich zum unbefeuchteten Kontroll-Kindergarten (128). Solche nicht pharmazeutischen Interventionen können mit Impfstrategien verbunden werden, um die Prävention gegen respiratorischer Virusinfektionen zu verbessern (Tabelle 2).
Tipps |
Zugehörige Referenz(en) |
Befeuchtung der Raumluft, Einhaltung einer relative Luftfeuchtigkeit von 40–60% bei Raumtemperatur |
47, 49, 52, 70, 113, 128 |
Belüftung (Austausch Raumluft gegen Frischluft) |
69 |
Tragen einer Gesichtsmaske, um die Nase warm und feucht zu halten |
88, 90, 93, 99, 100 |
Vitamin D-Ergänzung, um einen durch kurze Tageslichtdauer bedingten Vitamin D-Mangel zu vermeiden |
103, 104, 118, 120 |
Mehr als 7 Stunden Schlaf pro Nacht |
119 |
Händewaschen, um die Übertragung durch indirekten Kontakt zu vermindern |
120, 121 |
TABELLE 2
Tipps für die Einschränkung der Übertragung respiratorischer Viren im Winter
Stabilität/Infektiosität von aerosolisierten “Winter-Viren”, „Sommer-Viren“ und “Ganzjahres-Viren“
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TABELLE 3
Nicht-Rhinovirus Enteroviren sind “Sommer Viren”, Ausnahme: Norovirus. Die Stabilität von anderen Enteroviren - außer Polioviren - ist nicht bekannt
rote Farbe markiert die RF, bei der die Stabilität/Infektiosität maximal lange erhalten bleibt